In fast allen Rotwildgebieten Deutschlands jammern die Jäger über den Mangel an alten Hirschen. Andreas Rockstroh hingegen berichtet von einem etwa 16-jährigen Hirsch, der am 7. August dieses Jahres im Taunus zur Strecke gekommen ist: der Traum aller passionierten Hochwildjäger.
Text: Andreas Rockstroh
Fotos: Andreas Rockstroh, Erich Marek, Martin Janner
„Ich habe ihn gesehen, unseren Einser-Hirsch, unten an der Grünen Kiste (ein fahrbarer Hochsitz) im Raps“, berichtete mir Martin begeistert, als ich Mitte Juni von der Sau- und Bockjagd aus dem Erzgebirge zurückkam. „Auf der linken Stange ist er Kronenzehner, rechts trägt er nur eine Augsprosse und einen langen Spieß. Ich halte ihn für zehnjährig, vielleicht etwas älter. Schau ihn dir gelegentlich an, damit wir uns klar werden, ob es ein Ib- oder IIb-Hirsch ist. Kurt kennt ihn auch und schätzt ihn auf den achten oder neunten Kopf.“ Kurt ist der Jagdaufseher des Nachbarreviers. Wir verstehen uns prächtig. (Da die Klassifizierung nicht in allen Bundesländern gleich ist: Unter Klasse I versteht man in Rheinland-Pfalz Hirsche der höchsten Altersklasse, also zehnjährig und älter; unter Klasse II die mittelalten, also vier- bis neunjährig.)
Zwei oder drei Tage später saß ich morgens weit genug vom vermutlichen Wechsel des Kolbenhirsches auf einer Leiter im Feld an einem großen Rapsacker. Die Sauen tummelten sich dort. Und tatsächlich, der Hirsch zog gemächlich bei bestem Büchsenlicht nahe der Grünen Kiste aus dem Wald und bearbeitete mit seinem fast fertigen Bastgeweih einen Holunderbusch: Ein Anblick, der Hirschjäger kribbelig werden lässt! Der Abnorme bewegte sich zwar gemächlich mit tiefem Haupt, aber im Gebäude schien er mir nicht sehr stark. Das Spektiv lag dummerweise zu Hause, so dass ich ihn auf reichlich 300 ...