Die zentralasiatischen Hochgebirge stellen eine großräumige, einsame, durch die Zivilisation weitgehend unberührte Welt dar, die sich wohltuend abhebt von den dichtbesiedelten Gebirgszügen der Alpen, wo jeder Meter touristisch erschlossen, genutzt, vermarktet ist, der Tummelplatz für Millionen von Erholungsuchenden mit ihren unzähligen Trendsportarten und Freizeitaktivitäten. Forststraßen, Lifte, Gondeln, Schneekanonen, Skihütten, dröhnende Musik, Fun an jeder Ecke. Zwar gibt es auch im Tian Shan Sommerweide bis in die entlegensten Täler, aber immer noch auf demselben ursprünglichen Niveau wie schon vor tausend Jahren. Ab Mitte September jedoch, wenn der Herbst ins Land zieht, bis ins späte Frühjahr gehören diese Berge dem Wild allein
Text und Fotos: Dr. Christian Carl Willinger
Ich hatte vor einigen Jahren in Kirgistan eine Kamcha (Sprich „Kamtscha“, zentralasiatische Reitpeitsche) aus dem Lauf eines sibirischen Rehbocks erworben, deren Griff mit beigem, ornamentgeprägtem Leder überzogen und mit einem zwei Spannen langen, sechsstriemig geflochtenen Riemen versehen war. Für das Handgelenk besaß sie eine einfache Lederschlaufe. Es war zwar kein hochwertiges, handgefertigtes Einzelstück, sondern irgendwelche, wahrscheinlich in China gefertigte Massenware für den Souvenirmarkt, aber immerhin eine brauchbare und hübsche Knute, die ich – in Ermangelung einer edleren Ausführung – durchaus mit Stolz führte und mit der ich nun meinen zartgliedrigen Schimmel zum Galopp antrieb, nachdem ich meinem Jagdführer Mischa mit einer rollenden Armbewegung bedeutet hatte, die Gangart zu erhöhen, denn vor uns lag zur Rechten des Schotterweges eine lange, grüne Almwiese. Wir hatten nur leichtes Gepäck, ich den kleinen Rucksack und Mischa mein Gewehr, we...